Das Interview

Aus GSV

Aus gegebenem Anlaß - hier die Internationalen Oberhausener Kurzfilmtage - sehen Sie die Live-Aufzeichnung des Interviews mit einem der wohl profiliertesten Shootingstars der laufenden Saison. Der 64jährige Jungfilmer Udo Graf Randolph zu Piesmeck-Sayn gab sein Debut mit dem Œuvre 'Das Sein auf Sayn ist hart wie Stein'.

Rep.:  Herr Graf...
UGR:   Udo, sagen Sie einfach Udo, ich hänge nicht an diesen überkommenen 
       Regularien des europäischen Adels, ich bin da ganz locker.
Rep.:  Udo, Sie haben...
UGR:   Nein, nein, so geht das nicht, wenn Sie mich Udo nennen, müssen Sie 
       mich duzen, Vorname und 'Sie' ist nur den Kindern in der Schule   
       vorbehalten, da hört sich 'Udo, Sie' schon etwas seltsam an. Das erinnert 
       mich ja an meine Jugend, jeuness dorée, ha ha ha, sag' ich ja immer, 
       aber das liegt hinter mir. Sie können mich aber auch einfach
       'Durchlaucht' nennen, das geht protokollarisch völlig in Ordnung. Aber 
       dann natürlich mit  'Sie'.
Rep.:  Durchlaucht, Sie...
UGR:   Sie können natürlich auch die ältere Form 'Ihro Durchlaucht' nehmen, ich 
       bin da ganz frei, suchen Sie sich was aus, ich mache ja alles mit.
Regie: Können wir dann jetzt mal?
Rep.:  Graf Udo,...
UGR:   Ja, das geht auch, manche Familienmitglieder rufen mich ja auch
       Randolph, Gottchen ja, sollen sie doch, mir soll's recht sein. Wissen Sie, 
       meine Mutter benutzte lieber den Namen Randolph, Vater sagte eher 
       Udo; und meine Schwestern haben mich ja sowieso mit meinem 
       Spitznamen angeredet, aber den verrate ich Ihnen nicht, das ist denn 
       doch zu intim. Nur so viel: er fängt mit 'P' an.
Rep.:  Pummel, Porky, Pelle, Pascha...?
UGR:   Nein, nein,  lassen Sie nur, Sie kommen eh nicht drauf!
Rep.:  Äh, Sie haben heute der Jury hier in Oberhausen Ihr Erstlingswerk
       vorgelegt.
UGR:   Ja, genau.
Rep.:  Sind Sie sicher, daß sie damit das richtige Forum für Ihren Film gefunden 
       haben?
UGR:   Wieso, die Frage verstehe ich nicht.
Rep.:  Nun, wir sind hier auf den Internationalen Kurzfilmtagen in Oberhausen, 
       ein renommiertes Event der Filmschaffenden - aber halt Kurzfilmtage. 
       Wenn ich richtig aufgepaßt habe, dauert Ihr Film geschlagene 
       sechseinhalb Stunden - ohne  Pause.
UGR:   Das ist einerseits richtig, aber bedenken Sie doch auch: Kurzfilmtage! 
       Das darf man einfach nicht so pingelig auslegen, Herr... wie war noch Ihr 
       Name? 
Rep.:  Mandelbauer, Peter Mandelbauer.
UGR:   Ist jüdisch, nicht wahr? Warum auch nicht, ich habe da keine Vorurteile...
Rep.:  Nicht, daß ich wüßte, mein Urgroßvater kam aus Frankreich, der hieß noch
       Amandier, wurde dann später eingedeutscht.
UGR:   Is ja interessant! Na ja, man kann sich seine Vorfahren nicht aussuchen, 
       wem sagen Sie das!?
Regie: Kann es weitergehen?
Rep.:  Kommen wir zum Inhalt, es scheint sich da um eine sehr persönliche 
       Darstellung Ihrer Jugend auf dem Sitz derer zu Piesmeck-Sayn zu 
       handeln.
UGR:   Falsch, gar nicht, ich habe eine radikale Abrechnung mit den kryptischen 
       Verkrustungen des typisch deutschen mittleren bis hohen Adels in der 
       Kriegs- und Nachkriegsära - also unter Adenauer - filmisch umgesetzt - 
       basta. Das mag einigen Häusern übel aufstoßen, aber so bin ich nun mal: 
       grenzüberschreitend, kompromißlos, radikal, furchtlos. 
Rep.:  Aber weder aus den deutschen, noch aus anderen europäischen Fürsten-
       häusern ist je eine Wort über Ihren Film gedrungen, die scheinen den gar
       nicht zu kennen.
UGR:   Ignorante Snobs!
Rep.:  Vielleicht liegt es ja auch daran, daß sich bis jetzt kein Kino gefunden 
       hat....
UGR:   Jo, kann sein, wissen Sie, das übliche Kinopublikum ist doch eine Masse
       von Kretins, die nichts, aber auch gar nichts von der Kunst des 
       ambitionierten Filmens verstehen. Hauptsache 'bum bum' und dicke 
       Möpse, das reicht denen doch.
Regie: Weiter, das schneiden wir raus.
UGR:   Meine Filme sind eben nichts für Hinz und Kunz, da braucht es schon eine 
       gewisse geistige Elite, um meine Metaphorik...
Regie: Schneiden wir auch, das mit Hinz und Kunz.
Rep.:  Kommen wir zu den baulichen Elementen, zum Beispiel den Montagen...
UGR:   Genau, das hat Sie umgehauen, was? So radikal ist wohl noch kein 
       Filmschaffender das Cutting angegangen. 
Rep.:  Nun ja, ich will mal sagen 'eigenwillig'.
UGR:   Fragen Sie ruhig, wenn Sie etwas nicht verstanden haben!
Rep.:  Um ehrlich zu sein, die letzten zwei Stunden des Films bestehen aus 
       immer derselben Szene: Ihrer Frau Großmutter verrutscht beim 
       Mittagessen während sie in die Suppe pustet die Zahnprotese, diese fällt 
       dann in den Teller. Wir haben das mal analysiert, die Szene wiederholt 
       sich alle 4,3 Sekunden - und das zwei Stunden lang.
UGR:   Falsch, völlig falsch, es war beim abendlichen Diner. Wir essen in unseren 
       Kreisen immer abends warm. Großmutter mochte ja eigentlich keine 
       Suppen, aber sie hat das für uns getan, damit wir Lebensart und Stil 
       lernen. Am liebsten aß sie ja Kartoffelbrei, vielleicht auch wegen der 
       Zähne, ich weiß das nicht mehr so genau. 
Rep.:  Können wir dann zurück zum Film?
UGR:   Kartoffelbrei und Würstchen, daran erinnere ich mich. Jeden verdammten 
       Mittag gab es Kartoffelbrei und Würstchen, jeden Mittag, können Sie sich
       das vorstellen? Ich kriege das Würgen, wenn ich nur dran denke! Wie war
       gleich Ihre Frage?
Rep.:  Der Film, ich meine der Film...
UGR:   Welcher Film - ach so ja, 4,3 Sekunden, das hat was, müssen Sie doch 
       wohl zugeben. Dahinter verbirgt sich natürlich eine enigmatische Zahl. 
       Wissen Sie überhaupt, was enigmatisch  heißt?
Rep.:  Ja, äh, eigentlich....
UGR:   Rätselhaft, rätselhaft heißt das, aber ich finde enigmatisch etwas rätsel-
       hafter, deshalb nehme ich das lieber.
Rep.:  Und was ist das Rätsel, wenn ich fragen darf?
UGR:   10-43, das steckt dahinter.
Rep.:  ????
UGR:   Sehen Sie, damit können Sie auch nichts anfangen, was? Wußte ich 
       früher aber auch nicht. Habe ich aber dann in so einer Zeitschrift 
       gelesen,10-43 Sekunden dauerte es vom Urknall bis zum Verlust der 
       Eindimensionalität des Universums, danach: zack, alles dreidimensional, 
       das muß man sich mal vorstellen. Dann ist auf einmal alles da, Raum, Zeit 
       und das ganze Drumherum. Natürlich in gewisser Weise auch Kartoffelbrei 
       und Würstchen. Also ich meine jetzt nicht so direkt, aber der Grundstein 
       war doch gelegt, das hat sich wohl beim Urknall so keiner recht gedacht. 
       Sie doch auch nicht, Herr Mandelstein, seien Sie ehrlich!
Rep.:  Mandelbauer!
UGR:   Sehen Sie, hat später nach den 10-43 Sekunden auch niemand geahnt, daß 
       sowas wie Sie mal dabei rauskommt. Ist doch stark, oder?
Rep.:  Und der Film, wo ist er Bezug zum Film?
UGR:   Meine Güte, Sie sind aber auch schwer von Begriff: Urknall, Urmutter, 
       Großmutter, Großereignis, das paßt doch wie die Hand in den Schuh,
       Handschuh natürlich. Das Gebiss, das ewige Rein und Raus, das Werden
       und Vergehen, das springt einem doch ins Auge. 43 sage ich Ihnen, ist
       der Schlüssel zu meinem Film. Und außerdem bin ich 1943 geboren, 
       habe Schuhgröße 43 und trage Hemden mit Kragenweite 43. Sehen Sie 
       endlich die Parallelen?
Rep.:  Aber das ist doch ein wenig weit hergeholt.
UGR:   Meinen Sie, ja? Egal, jetzt ist er Film fertig, ändern kann man da jetzt
       nichts mehr. 
Regie: Frag' ihn doch mal was über die ersten viereinhalb Stunden.
Rep.:  Muß das sein?
Regie: Nu mach schon!
Rep.:  Und der Beginn des Films, Graf Piesmeck-Sayn?
UGR:   ZU, zu Piesmeck-Sayn, bitte. Ja, die ersten Kapitel schildern das traurige 
       Leben eines jungen Edelmannes, der zwischen Matrosenanzug, schweren
       Gobelins, drei älteren Schwestern und Kartoffelbrei mit Würstchen aufge-
       rieben wird.
Rep.:  Och, Sie machen aber im Film einen ganz munteren Eindruck.
UGR:   Fassade und Contenance! Wir lernen das. Davon versteht Ihr Bürger-
       lichen nichts. Dazu fehlt es Euch an allen Ecken und Enden! Dieses Hin-
       und Hergerissensein zwischen Pflichterfüllung in der Familie einerseits und
       lustvollen Jadgen und Landpartien andererseits - gar nicht einfach! Um 
       ehrlich zu sein: ich saufe lieber Cognac mit meinem Kammerdiener, als 
       mit der Familie zu dinieren. Aber da läßt sich ein zu Piesmeck-Sayn nichts 
       anmerken, da geht der durch wie ein heißes Messer durch die Butter, aus 
       solchem Holz sind wir - und ab dafür!
Regie: Mach weiter, wir schneiden das auch raus.
UGR:   [laut] Hätte ich mir ja denken können, daß hier kein Aas die Subtilität zum
       Verständnis real existiernder Lebensdramen aufbringt.
Rep.:  Zum Schluß noch eine Frage: wie stellen Sie sich Ihre Zukunft im inter-
       nationalen Filmgeschäft vor?
UGR:   Ich werde selbstverständlich unermüdlich weiter an meinen Visionen 
       arbeiten. Die Familie hat bereits die Gelder für einen filmischen Zyklus
       über die vom Haus zu Piesmeck-Sayn seit Jahren erfolgreich geführte 
       Rauhaardackelzucht bereitgestellt. 
       Meine Schwestern meinen, das sei sogar günstiger als ein standes-
       gemäßes Sanatorium.
Rep.:  Vielen Dank, Durchlaucht, und alles Gute für die Zukunft.
UGR:   Und wie komme ich jetzt nach Hause?

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