Konsonantenverschiebung

Begonnen von Arnymenos (unlogged), 2005-02-09, 15:27:48

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Fleischers Karsten

#60
Intregieren statt integrieren ist mir auch im Deutschen schon untergekommen.

Mir passiert's schon mal, dass ich rekutrieren statt rekrutieren sage. In ganz schlimmen Fällen wird's sogar zu rekrutrieren.

Mit dem Kokodril hat der amarillo was angerochten! Als Krokodil will's mir jetzt gar nicht mehr über die Lippen kommen.
Karsten

Fleischers Karsten

Zitat von: FinnCrisp in 2006-04-06, 15:35:36
PS: Ist das eigtl. korrekt - "sagen hören"? Oder sagt man "sagen gehoren"?

Eigentlich sagen gehoren.

Ich gooolg eben mal nach

Ich habe schon Pferde kotzen gesehen

und

Ich habe schon Pferde kotzen sehen.

Letzteres ist weitaus häufiger vertreten.
Kann mal jemand erklären, wohin das ge- verschwunden ist?
Karsten

Kilian

Nein, eigentlich nicht sagen gehoren. sagen hören ist völlig korrekt. Nach einer Infinitivkonstruktion - in diesem Fall mehrere Amerikaner intregal statt integral sagen - ersetzt bei den Modalverben sowie den Verben sehen, hören, brauchen und fühlen meist die Infinitivform das Partizip II. Man nennt das Ersatzinfinitiv.

Fleischers Karsten

Karsten

FinnCrisp

Mysteriöserweise gibt es auch Verben, deren Infinitv formal mit dem Part. II identisch ist:
- verlassen
- vergessen
- zerfallen
Auch hier ist Neuregulierung gefragen!

Kilian

Und Verben, deren Part. II mit dem des zugehörigen Simplex identisch ist:
- gebrauchen
- gehören
- gerinnen
- ...
Kann man aber beides so lassen, finde ich.

Ly

Zitat von: amarillo in 2006-04-06, 14:11:30
Siehe spanisch corbata (Krawatte) und cocodrilo (Krokodil)

Oder griechisch Korkondilos.
It isn't always how you look. Look at me. I'm handsome like anything, and I haven't got anybody to marry me yet.

caru

oder auch lateinisch corcodrillus.
(\___/)
(>´x´<)
('.')__('.')

Nijntje - de echte nederlandse konijn

Fleischers Karsten

#68
Kann es sein, dass die Sachsen einen merkwurden Konsonantenverschub bei Worten auf -en haben?
Mein Scheff (der sächsich und bairisch gemoschen redet) nennt mich, wenn er mich laut ruft, immer Karstne, bei normaler Lautstärke allerdings - richtig - Karsten.

Ein Bauleiter, der auch aus Sachsen stammt, verdreht das n und e ständig bei Verben im Infinitiv am Satzende:

- Wir müssen das Deckenfries da runterholne.
- Das werden wir dann an der Decke anschraubne.
Karsten

katakura

#69
Zitat von: Fleischers Karsten in 2008-07-01, 21:16:47
Kann es sein, dass die Sachsen einen merkwurden Konsonantenverschub bei Worten auf -en haben?
Mein Scheff (der sächsich und bairisch gemoschen redet) nennt mich, wenn er mich laut ruft, immer Karstne, bei normaler Lautstärke allerdings - richtig - Karsten.

Ein Bauleiter, der auch aus Sachsen stammt, verdreht das n und e ständig bei Verben im Infinitiv am Satzende:

- Wir müssen das Deckenfries da runterholne.
- Das werden wir dann an der Decke anschraubne.

... nein, auch wenn es sich für ungeobene ohren so anhören memug, ist dies kein konsonantenverschub! ...

... das phänomen tritt auch in den meisten thüringischen mundarten auf, vor allem, wenn lauter gesprochen oder gerufen wird ... grundsätzlich gilt erst einmal, das sachsen wie thüringer zielm maulfaul sind und bei worten, die auf -en enden, so gut wie immer das e verschleifen oder ganz unterschlagen und somit alles auf -(e)n endet (essn, betn, schlafn, gehn, lesn, machn, redn) ...

... wird nun lauter gesprochen oder gerufen, d.h. eine besondere betonung auf das gesagte gelegt, wird an die endung -(e)n (sofern das betreffende wort am satzende steht) noch ein -e angehängt, denn es geht für die sachsen und thüringer (denen man aufgrund ihrer eigentümlichen sprachmelodie tatsächlich nachgesagt, daß sie nicht sprechen, sondern singen) nicht an, einen satz abrupt mit einem nasal enden zu lassen ... es klingt nicht flüssig genug, also heißt es folgerichtig komm ess(e)ne! eh, karst(e)ne! etc. ...

... also: kein simpler verdreher, sondern ein verschleifer und ein anhänger :D
Toleranz ist vor allem die Erkenntnis, dass es keinen Sinn hat, sich aufzuregen. (Helmut Qualtinger)

Berthold

#70
'Boativ' - und nochmals ein großer Zoologe:

Jener 'thüringisch-sächsische Vokativ' findet auch in Wien ein Analogon (wohl sogar ein Homologon) - natchlur nicht nur als Vokativ, sondern, allgemeiner, als 'Boativ' (Schreifall).
In normaler Rede hieße der Karsten* bei uns 'Ghās-tn'. Der Verschluß des 't' löst sich dabei nasal; 'tn' ist eine Silbe.
Der 'Boativ' ginge 'Ghāās-tnα'. Die zweite Silbe erhält durch einen 'unsauberen', a-haltigen Schwalaut eine zusätzliche Betun.
Lautstärke: 'Ghās-tn' in ruhiger Rede: 3'1; 'Boativ': >3'>2.

*Ganz so selten und 'piefkinesisch' ist dieser Vorname bei uns nicht. Ich studor etwa zusammen mit einem Herrn Karsten Kuba, der zweifellos 'vom Grund' herstammt. 'Karsten', täte ich meinen, ist in Wien ungefähr gleich häufig wie 'Berthold'.
Warum 'Berthold' bei den Juden in Wien beliebt war, kekünne ich nicht sagen. Ich schrieb einmal in diesem Forum ein paar Worte über den großen Zoologen Berthold Hatschek (1854-1941), der am Ende seines Berufslebens das Vergleichend-Anatomische Institut an der Universität Wien liet (litt).
'Nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Österreich am 12. März 1938 wurde er auf Veranlassung des österreichischen Unterrichtsministeriums (Ich kann mir nicht vorstellen, daß es das überhaupt noch gegeben hat. That's Wikipedia.) am 22. April seines Postens enthoben. Drei Jahre später wurde der 86-Jährige aus seiner Wohnung deportiert, starb aber noch im gleichen Jahr in Wien.' (Was da genau ablief, verschweigt uns Wikipedia.)

Kilian

Ich kenne das auch von meinem aus Weimar stammenden Chef, aber durchaus nicht aufs Anreden oder Rufen beschracht.

Zitat'Nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Österreich am 12. März 1938 wurde er auf Veranlassung des österreichischen Unterrichtsministeriums (Ich kann mir nicht vorstellen, daß es das überhaupt noch gegeben hat. That's Wikipedia.)

Ja, in solchen Fällen muss man in eine Bibliothek gehen. Man könnte beispielsweise hier anfangen und wiederum die Quellen prüfen.

Berthold

#72
Zitat von: Berthold in 2008-07-02, 11:51:32
*(...) Ich studor etwa zusammen mit einem Herrn Karsten Kuba, der zweifellos 'vom Grund' herstammt.

Falsch, er heißt Kersten Kuba.


Agricola

Zitat von: Kilian in 2008-07-02, 13:52:39
Man könnte beispielsweise hier anfangen und wiederum die Quellen prüfen.
Sehr interessante Lektüre, mal ganz unabhängig von dieser Frage!
The future lies in front of me,
but "lies" is all that I can see.

Berthold

#74
Danke, lieber Kilian! Dem Wortlaut nach hat Wikipedia - im Aufsatz über Prof. Berthold Hatschek - also recht. Am 22. 4. 1938 hieß das Ministerium 'Österreichisches Unterrichtsministerium'. - Da hänge ich Euch einen Abschnitt eines - wenn's gut kommt - Romankapitels dazu - ohne die Schriftarten dem Original anzupassen:

'Vieles bleibt mir nun nicht mehr zu fragen, mir wichtiges aber doch noch:
   G: Jarmila, da Sie sich doch so sehr mit der Materie befassen - müßten Sie doch zwangsläufig auch von Professor Mordechaj Meisel gelesen haben? /

   - Der große Mykologe. Diesem Vorbild nacheifernd, verlagerte Klara Maria den größeren Teil ihrer Forschungen von den Kulturpflanzen auf die Pilze.

   J: Mordechaj Meisel! Wie hab ich seine Publikationen verschlungen - gleich aus welcher seiner Perioden: Philadelphia - Tel Aviv - Wien. Aber solch ein Riesenwerk ganz zu lesen, ist unmöglich. - Ich weiß auch Biographisches.
   G: Ich kann ein bißchen ermessen, wie umfassend gebildet Meisel gewesen sein muß - aber - Biographisches -?
   J: Doch. Aber beginnen wir anderswo: Es ist bei uns so, daß ein Knabe mit dem Familiennamen Štúr sicherlich oft L’udovít getauft, oder genannt wird. Eine Nĕmcova nennt man in Tschechien wahrscheinlich oft-
   G: -Božena, nicht wahr? Und ein Sachs heißt bei uns oder in Deutschland wohl öfters Hans. Viel seltener Gunther. Aber - Ja gibt es denn einen berühmten Mordechaj Meisel?/

   Ja, liebe A., Georg hätte nun befürchten können, in die ultimative Schwärze, nach Auschwitz (Oświęcim)-Birkenau, oder in irgendein anderes Vernichtungslager, mitgerissen zu werden. Ich muß die Namen aufschreiben: Belzec, Kulmhof (Chelmno), Majdanek, Sobibór, Treblinka. - Lager dem Wortsinn nach waren das keine, weil auch im schlimmsten Lager noch ein letzter Rest an Ruhe liegt. - Vernichtungsstätten? Auch in der Stätte ist wenigstens der Augenblick eines Innehaltens in Würde. Vernichtungsschwärze... Eine Schwärze, vor der Georgs Teerschwarz - mitsamt einer möglichen Bedrohung durch jenes Experiment - wie ein Mückenfurz verpufft. Auschwitzade man legede, kamnahi man te tharel, singen die Roma im Burgenland. Doch war da jetzt nicht ein Gedanke, andere KZs wären irgendwie gewöhnlicher, von minderem Rang? Hier eine systematische Betrachtungsweise - ins Hirn eingefressenes Systema Nathurae -, ein Vergleich mit der aufgegliederten, gestaffelten Danteschen Hölle, eine Dämonarchie? Fluchtversuche eines Zoologen?... - Es geht um etwas, das nie, auf keine Weise, wieder ganz gut zu machen ist. Die Emma, die Tante des lieben, alten Horvath, hätte dem Georg einfallen können. Der hat’s nichts geholfen, sozusagen die, wenn auch nur vermutete, Schwägerin des Grafen Vándorsólyom zu sein. Auf der Psychiatrie war’s, als die Nazis gleichsam die Vernichtung noch probten. - Doch halt, in solche Schwärze und auch noch mitgerissen, mitgesogen? - Nein, er konnte tief atmen. - Georg war doch im Čingov, mit scharfsinnigen Frauen, unter vielen jungen Menschen. Es ging doch - wie romantisch und anheimelnd - ins alte Prag, ins Goldene Zeitalter, vom letzten Viertel des 16. bis ins erste Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts. Der Hohe Rabbi Loew/Löw/Löbe war damals geistliches und Mordechaj (-ai) Markus Ben Samuel Meis(e)l/Maisel/Meyzl politisches Oberhaupt der jüdischen Gemeinde. Auf dem Grabstein des letzteren steht zu lesen:
Während seines Lebens gab es keinen Riß, kein Klaggeschrei in unseren Straßen.

   Auch Drahoslava beteiligt sich plötzlich lebhaft am Gespräch. Mit Spott in Stimme und Miene, sagt sie zu ihrer Freundin:
   D: Er kennt wirklich Mordechaj Meisel nicht, Jara (wäre D. Tschechin, hätte sie ihre Freundin mit Jaro oder Jarko angeredet.). [und mich anblickend:] Leo Perutz können Sie dann auch nie gelesen haben, nämlich Nachts unter der-
   G: -steinernen Treppe
   D: Nein, Brücke
   G: Brücke? - Ja, Brücke. Meiner Mutter hab ich das Buch einmal geschenkt. Aber selber gelesen hab ich’s nie. - Kein Werk von Leo Perutz. Noch nicht.
   D [erneut zu Jarmila]: Denk dir, Jaruša, er hat Leo Perutz nie gelesen. [Zu mir:] In dem Büchl ist der Meisl-Jude, der Mordechäus, des Kaisers Kammerknecht, eine der vier Hauptgestalten. [Wer sind die anderen drei? Sobald Zeit ist, werd ich das lesen ... Nun prasseln rhetorische Fragen auf mich.]
   D: ...Wer ließ die Hohe Synagoge erbauen? Wer errichtete die Meisel-Synagoge [mit höhnischer Betonung], die Židovska Radnice? [Wohl irgendein jüdisches Rathaus, eine Beratungshalle]
   J: Wer ließ das jüdische Viertel pflastern?
   D: Wer galt überhaupt als führender Philanthrop und Vater der Armen?-
   J: -Ließ ein Hekdesch, ein Armen-Krankenhaus, bauen? Hat jährlich zwei armen Bräuten die Mitgift bezahlt? Der Posener Gemeinde 10.000 Taler geschenkt? Der Gemeinde von Krakov...?... Wer spendete selbst der christlichen Gemeinde, den Jesuiten?-
   G: -Das hat alles Mordechaj Meisel, der Erste, getan? Ja, war denn der so reich?'
   - Siehe Fortsetzung